Agrarallianz Schweiz

Handlungsachsen für mehr Nachhaltigkeit in der landwirtschaftlichen Aus- und Weiterbildung

Zusammenfassung

Gut ausgebildete, motivierte und engagierte Berufsleute in der Land- und Ernährungswirtschaft sind Voraussetzung für die erfolgreiche Weiterentwicklung der gesamten Branche. Die Agrarallianz unterstützt die Entwicklung einer landwirtschaftlichen Aus- und Weiterbildung, die Landwirt*innen befähigt, die Dimensionen Umwelt, Soziales, Gesundheit und Tierwohl wirtschaftlich erfolgreich in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. In diesem Positionspapier konkretisiert sie diesen Anspruch im Grundsatz und anhand der Bildungsreform 2025 für die Grundbildung.

Idealerweise schafft die Aus- und Weiterbildung Wissen und Grundlagen, um der Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft offen gegenüberzustehen. Damit das möglich ist, sollte die Ausbildung auf allen Stufen Systemwissen der Nachhaltigkeit vermitteln sowie positive und negative Umweltwirkungen der Landwirtschaft thematisieren. Der Unterricht soll die Berufsleute befähigen, die für ihren Standort nachhaltigsten und geeignetsten Produktionsmethoden einzusetzen bzw. auf ihre Bedürfnisse anzupassen.

Diese Ziele können in der aktuellen Bildungsreform bereits berücksichtigt werden – sofern der Unterricht modular aufgebaut, die Qualifikationsprofile und Bildungspläne die verschiedenen Handlungsstränge integrieren, und die Fachorganisationen nachhaltiger Landbausysteme einen wesentlichen Beitrag zur Festlegung der Vertiefungsrichtungen leisten können und die landwirtschaftlichen Bildungsinstitutionen und ihre Kantone die Leistungsvereinbarungen entsprechend ausgestalten.

Ziel dieses Positionspapiers

Die Agrarallianz unterstützt die Entwicklung der landwirtschaftlichen Aus- und Weiterbildung, die Landwirt*innen befähigt, die Dimensionen Umwelt, Soziales, Tierwohl und Gesundheit wirtschaftlich erfolgreich in ihrem Arbeitsalltag zu berücksichtigen. Dieses Positionspapier konkretisiert diesen Anspruch grundsätzlich und anhand der Bildungsreform 2025 für die landwirtschaftliche Grundbildung.

Rolle und Bedeutung der Aus- und Weiterbildung für die Landwirtschaft

Die Land- und Ernährungswirtschaft wird immer vielfältiger in der Zahl der eingesetzten Geschäftsmodelle und Ausrichtungen [1]. Bestehende Produktionsmethoden und Anbausysteme werden weiterentwickelt, neue Konzepte kommen laufend hinzu [2] , fliessen in die landwirtschaftliche Praxis.

Die Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die durch unterschiedliche Ansichten über Systemgrenzen und begrenzte Möglichkeiten der zentralen Steuerung beeinflusst wird [3]. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Eigenverantwortung der einzelnen Akteure aufgrund der zunehmenden Komplexität wächst. Das wiederum erhöht die Anforderungen an Können und Wissen der Berufsleute in allen Teilbereichen der Land- und Ernährungswirtschaft und stellt neue Anforderungen an Aus- und Weiterbildungsangebote. Denn die Aus- und Weiterbildung schafft eine Voraussetzung für die erfolgreiche, selbstgestaltete Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft in der Schweiz (und im Ausland).

Es überrascht deshalb nicht, dass die Aus- und Weiterbildung als Handlungsfeld in verschiedenen Strategien explizit benannt wird:

  •  Im Aktionsplan Biodiversität schlägt der Bund für den Bereich Landwirtschaft unter anderen Massnahmen vor, die Biodiversität in der landwirtschaftlichen Bildung und Beratung zu stärken. Dies, weil keines der dreizehn Umweltziele Landwirtschaft vollständig erreicht wurde und weil der Handlungsbedarf aufgrund der bestehenden Ziellücken – insbesondere bei der Biodiversität, den klimarelevanten Treibhausgasen (Methan, Lachgas), dem Stickstoff (Ammoniak, Nitrat) und der Bodenfruchtbarkeit – besonders hoch bleibt.
  • Der Entwurf der Klimastrategie des Bundes sieht eine umfassende Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft vor, damit der Treibhausgas-Fussabdruck des ganzen Systems reduziert werden kann. Die Strategie schliesst Forschung, Bildung und Beratung mit ein und will neben der Ausrichtung der Bildung auf den Klimaschutz die transdisziplinäre Forschung zur Transformation des Ernährungssystems stärken. Berufsbildung und Beratung sollen Klima und ökologisch erforderliche Voraussetzungen für eine nachhaltige Produktion zu einem integralen Bestandteil machen [4].
  • Die wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit kann durch neue Geschäftsmodelle und angepasste Strategien verbessert werden [5]. Das ist notwendig, denn die Schweizer Landwirtschaft hat im Vergleich zum Ausland hohe Produktionskosten – etwa bei den Maschinen- und Gebäudekosten. Die Aus- und Weiterbildung soll Impulse geben, damit die landwirtschaftlichen Unternehmen bei wirtschaftlichen Aspekten nachhaltiger werden können und wollen.
  • Zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit fördert der Bund die Resilienz des Ernährungssystems. Wie es in der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (SNE 2030) heisst, unter anderem durch eine diversifizierte, standortangepasste und ressourceneffiziente Inlandproduktion sowie die Förderung von entsprechenden Bildungsmöglichkeiten [6]. Dass sich der Bund ebenfalls für die Anpassung der Landwirtschaft an sich ändernde klimatische Rahmenbedingungen “unter anderem durch Ausnutzung der agrarökologischen Prinzipien” einsetzt, verdeutlicht den Bedarf gut ausgebildeter Landwirt*innen für die Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sektors. Obwohl der Bundesrat im Bericht der SNE 2030 festhält, «Dabei berücksichtigt der Bund insbesondere die Umwelteinflüsse, die sozialen Gegebenheiten und Tierwohlaspekte», fehlt in der Agenda 2030 der Aspekt des Tierwohls. Internationale Ziele für eine artgerechte Tierhaltung, Tierzucht aber auch tiergerechte Schlachtung fehlen weitgehend.
  • Hohes Tierwohl geht mit guter Tiergesundheit einher. In der konventionellen Nutztierhaltung ist ein Produktionssystem etabliert, dass ohne den Einsatz von Antibiotika nicht effizient funktioniert bzw. Reduktionsstrategien ohne Änderung des Haltungssystems mit hohen ökonomischen Risiken verbunden sind. Damit ist auch die Nutztierhaltung ein Treiber der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen und trägt dazu bei, dass Antibiotika ihre Wirksamkeit verlieren. Im OneHealth-Ansatz soll mit verschiedenen Strategien der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduziert werden. Dabei sind eine artgerechte Tierhaltung und eine gute Tiergesundheit auf schweizer Landwirtschaftsbetrieben zentrale Faktoren, die auch in der Aus- und Weiterbildung entsprechend berücksichtigt werden sollen.

[1] Siehe Agrarbericht, 2021
[2] Zu erwähnen sind unter anderem Agrarökologie, Regenerative Landwirtschaft, die Weiterentwicklung der Label-Anforderungen von Bio- und IP-SUISSE
[3] Leeuwis, C., Boogaard, B.K. & Atta-Krah, K. How food systems change (or not): governance implications for system transformation processes. Food Sec. 13, 761–780 (2021). https://doi.org/10.1007/s12571-021-01178-4
[4] Siehe dazu auch der Entwurf der Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050 des Bundes, sowie die  langfristige Klimastrategie 2050
[5] Dazu gehören die Berücksichtigung der betriebswirtschaftlichen Bedeutung des Kosten-Managements und der ökonomisch sinnvolle Umgang mit den inländischen Ressourcen.
[6]Siehe dazu SNE 2030, Seite 16

Wie die Ausbildung sein sollte

Die Land- und Ernährungswirtschaft ist nachhaltig, wenn sie

  • in regional geschlossenen Kreisläufen eine optimale Ressourcennutzung ermöglicht;
  • Erfahrungs- und Erkenntniswissen für die Weiterentwicklung der einzelnen Betriebe und ganzer Wertschöpfungsketten so anwendet, dass die Nachhaltigkeit von Prozessen und Produkten laufend verbessert werden kann;
  • in ihren Produktions- und Reproduktionsprozessen den Schutz des Klimas und der gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Ressourcen integriert;
  • die einzelnen Dimensionen der Nachhaltigkeit richtig verstehen (“Big Four”: Gesundheit, Soziales, Ökologie und Tierwohl) und Zielkonflikte erkennen resp. austarierte Lösungen daraus ableiten kann;
  • OneHealth Strategien umsetzt und hohes Tierwohl sicherstellt;
  • als gesamtheitliches System und als Teil der Gesellschaft verstanden wird.

Aus Sicht der Agrarallianz muss Aus- und Weiterbildung die Landwirt*innen befähigen, ihre Nachhaltigkeitsleistung in den Dimensionen Umwelt, Soziales, Tierwohl und Gesundheit wirtschaftlich erfolgreich im Arbeitsalltag zu integrieren und einen Beitrag zu einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft zu leisten. Aus- und Weiterbildung soll bei den Akteuren die Freude, das Interesse und die Bereitschaft fördern, die Transition der Land- und Ernährungswirtschaft mitzugestalten.

Die landwirtschaftliche Ausbildung vermittelt dazu auf allen Stufen die notwendigen Handlungskompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit. Die Berufsleute sollen befähigt werden, in ihrer alltäglichen Arbeit einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Land- und Ernährungswirtschaft leisten zu können. Dazu gehört, dass in jedem Produktionsfach und in spezifischen Fächern konsequent die Wechselwirkungen und Folgen des Handelns bzw. Nichthandelns der landwirtschaftlichen Praxis für die Umwelt sichtbar gemacht werden. Ebenso sollen Berufsleute befähigt werden, die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Produktionsweisen zu kennen. Damit soll das Verständnis für die relevanten Vermeidungskosten bei einer nachhaltigen Produktion, also die Internalisierung externer Effekte in den Bereichen Umwelt, Gesundheit, Tierwohl und Soziales geschaffen werden. Dazu thematisiert die Ausbildung positive wie negative Umweltwirkungen sowie den Einbezug von Tierwohl-Aspekten (Tierwohl-Kosten und -Nutzen) der Landwirtschaft.

Die Berufsleute werden befähigt, den für sie besten Weg bei der Weiterentwicklung ihrer Betriebe zu beschreiten – unter anderem, indem sie einfach zwischen verschiedenen Produktionsrichtungen wechseln können. Damit das möglich ist, berücksichtigt der Unterricht Differenzierungsmerkmale und Gemeinsamkeiten der landwirtschaftlichen Produktionssysteme (und Haltungsformen). Idealerweise befähigt die Ausbildung die Berufsleute dazu, die für ihren Standort, ihre Eignungen und Neigungen nachhaltigsten und geeignetsten Produktionsmethoden umzusetzen bzw. auf ihre Bedürfnisse zu adaptieren.

Vielfältige Geschäftsmodelle und angepasste Strategien in der Betriebsorganisation und in der Wertschöpfung können dazu beitragen, die wirtschaftliche Nachhaltigkeit zu verbessern. Die Aus- und Weiterbildung muss deshalb Arbeitsinstrumente im betrieblichen Umfeld bereitstellen, damit die landwirtschaftlichen Unternehmen wirtschaftlich nachhaltiger werden können und wollen.

Landwirtschaftliche Schulen und Ausbildungsstätten nehmen ihre Vorbildfunktion für Berufsleute wahr und ermutigen Berufsleute, zu Change-Agents zu werden. Zu Menschen, die über Wissen, Mut und Mittel verfügen, transformative Prozesse anzustossen, umzusetzen und weiterzutragen. Damit das möglich ist, sind landwirtschaftliche Schulbetriebe so aufzustellen, dass sie in allen Bereichen (namentlich in der Ernährung, der Betriebsführung, den Bauweisen, den Versuchsanlagen) als Rollenmodelle für nachhaltige und innovative Produktions- und Arbeitsstätten fungieren [7] .

Landwirtschaftliche Schulen und ihre Leistungsaufträge sind so ausgestaltet, dass sie praxis-, handlungs- und wirkungsorientierte Aus- und Weiterbildung ermöglichen. Dazu gehören handlungsorientierte Unterrichtsmethoden, die ganzheitliches Denken und Handeln fördern. Aus- und Weiterbildung sind so organisiert, dass Erfahrungs- und Erkenntniswissen möglichst einfach ausgetauscht werden kann – und dass Wissen und Ideen innovativer Landbauorganisationen und regionaler zivilgesellschaftlicher Akteure integriert werden. Selbstverständlich ist für alle Akteure in der Bildung die Kooperation und Koordination – damit die Kantonswechsel während der Ausbildung möglichst reibungslos erfolgen kann.

Aus- und Weiterbildung in der Landwirtschaft sind so ausgestaltet, dass sie alle Lebens- und Organisationsformen berücksichtigen können. Dazu gehört einerseits die gender-neutrale Ausgestaltung der Programme. Andererseits sollen die Aus- und Weiterbildung Raum schaffen, die Rollenbilder in der Landwirtschaft zu reflektieren. Damit wird der Abbau von (schädlichen) Genderstereotypen unterstützt und ermöglicht, dass auch andere Gender als Teil der Landwirtschaft sichtbarer werden können [8] .

Aus- und Weiterbildungsangebote sind so ausgestaltet, dass sie möglichst einfach zugänglich sind. Dazu gehört die Modularisierung anerkannter Bildungsangebote, die Validierung der Bildungsleistungen von Personen, die ihre Kompetenzen durch eine nicht-formalisierte Bildung erworben haben und der vereinfachte Zugang zu Teilen von Kursen.

Über die Ansprüche an die Ausbildung hinaus muss sich das Wissenssystem so entwickeln können, dass Praktiker und ihr Erfahrungswissen einbezogen werden.


[7] Die Agrarallianz unterstützt Forschungsbetriebe wie den AgroVet Strickhof ausdrücklich. Wir stellen aber fest, dass die damit propagierte Landwirtschaft tendenziell zu kostenintensiv ist für den Produktionsstandort Schweiz und damit nur bedingt als Rollenmodell für den durchschnittlichen Schweizer Landwirtschaftsbetrieb funktionieren kann.
[8] Dass es diese anderen Formen bereits gibt, zeigt unter anderem die Arbeit von Prisca Pfammatter.

Fokus Grundbildung und höhere Berufsbildung

Die oben skizzierte Ausrichtung ist für die Grundbildung und die höhere Berufsbildung relevant. Damit die Ausbildung aber stufengerecht erfolgt, sehen wir folgende Aufteilung zwischen der Grundbildung und der höheren Berufsbildung als sinnvoll:

Die Grundbildung schafft die Basis für eine erfolgreiche Tätigkeit in der Land- und Ernährungswirtschaft:

  • Sie baut dazu von Beginn an System- und Handlungswissen und das Bewusstsein für die Interaktion der Produktionsweisen mit verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekten auf.
  • Sie schult wirtschaftliches Systemdenken.
  • Sie berücksichtigt agrarökologische und klimaschonende Methoden der Landwirtschaft und zeigt die Bedeutung geschlossener Kreisläufe in der Land- und Ernährungswirtschaft.
  • Sie bereitet künftige Landwirt*innen darauf vor, die Bevölkerung mit sicheren Lebensmitteln zu versorgen und die Pflege der Kulturlandschaften, die Achtung des Tierwohls und der sozialen Nachhaltigkeit in ihrem Arbeitsalltag zu integrieren.
  • Sie bereitet Landwirt*innen darauf vor, multifunktionale Leistungen zu erbringen.
  • Die Grundbildung ist modular in verschiedene Fach- und Vertiefungsrichtungen aufgebaut und ermöglicht freiwillige Lehrjahre für die zusätzliche fachliche Vertiefung.

Die höhere Berufsbildung (Eidg. Fach [9]– und Meisterprüfung [10]) befähigt Landwirt*innen ihre Betriebe unter Berücksichtigung natürlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen erfolgreich zu führen. Aus- und Weiterbildungsangebote müssen deshalb die Landwirt*innen befähigen,

  • die Vorteile nachhaltigerer Produktionsmethoden für die Betriebsentwicklung zu nutzen;
  • Landwirtschaftliche Betriebe so auszurichten, dass sie den gesellschaftlichen Erwartungen bestmöglich gerecht werden können [11];
  • die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung im Sinne der nachhaltigen Weiterentwicklung ihrer Produktions- und Haltungssysteme (Tierhaltung, Ackerbau, Grünlandmanagement etc. ) anzuwenden;
  • ihre Produktion auf die Bedürfnisse neuer Märkte auszurichten und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen mitgestalten;
  • ihre Produkte erfolgreich zu vermarkten;
  • an der Forschung zur Weiterentwicklung der Produktions- und Haltungssysteme mitzuwirken.

[9] Entspricht BLS 1
[10] Entspricht BLS 2
[11] Die gesellschaftlichen Erwartungen werden über die politischen Massnahmen und über die Nachfrage der Konsumenten*innen sichtbar. Die Ausbildung soll Landwirte*innen dabei unterstützen, mit den dabei auftretenden Widersprüchen besser umzugehen.

Bildungsreform 2025

Aktueller Stand der Diskussion

Derzeit revidiert die Organisation der Arbeitswelt (OdA) AgriAliForm die Qualifikationsprofile für die Grundbildung [12]. Diese beschreiben Berufsbild und Handlungskompetenzen und bilden die Grundlage für die Bildungspläne der Landwirtschaft. Im ersten Semester 2022 werden die Qualifikationsprofile entwickelt. Gemäss Planung sollen 2023 Bildungspläne und Qualifikationsprofile nach einer Vernehmlassung vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) genehmigt und von den Kantonen mittels Leistungsvereinbarungen mit den landwirtschaftlichen Schulen per August 2024 eingeführt werden [13].

In den Diskussionen über die Weiterentwicklung der Grundausbildung wurde der Ruf laut, die Berufslehre auf vier Jahre zu verlängern. Gründe dafür waren die Anforderungen an die Mitarbeitenden und Betriebsleitenden sowohl auf gemischten Produktionsbetrieben im Ackerbaugebiet und in besonderem Masse für biologische Landwirtschaft [14]. Eine Verlängerung hat allerdings für die Kantone finanzielle Konsequenzen. Zudem müssen mehr Lehrbetriebe zur Verfügung stehen und es müssen im 4. Jahr bessere Löhne bezahlt werden. Und schliesslich ist eine vierjährige Lehre aus Sicht vieler Grünlandbetriebe im Berg- und Hügelgebiet nicht zwingend notwendig. In der OdA ist deshalb offenbar nur ein Modell mit dreijähriger obligatorischer Grundbildung und einem 4. freiwilligen Zusatzjahr mehrheitsfähig.

In der OdA AgriAliForm offenbar akzeptiert ist zwischenzeitlich eine 3-jährige Lehre mit 2 Basisjahren zum Thema naturnahe bzw. nachhaltige Landwirtschaft. Während diesen zwei Jahren werden alle Lernenden gemeinsam geschult.

Erwartungen an die Grundbildung im 1. und 2. Lehrjahr

Eine gemeinsame Beschulung in den ersten zwei Jahren ist sinnvoll, unserer Meinung nach sollten grundsätzlich folgende Schwerpunkte besser berücksichtigt werden:

  • Die nachhaltige Nutzung und damit auch der Schutz von Boden, Wasser, Luft und Biodiversität;
  • Innovationsfähigkeit für die Adaption agrarökologischer Prinzipien auf die jeweiligen Betriebe;
  • Die Bedeutung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen für die eigene Arbeit und die Arbeit der Landwirtschaft;
  • Nutzpflanzen-Diversität, ihre Herkunft, Züchtungsziele, ihre Biologie und natürlichen Standortansprüche, Arten und Sorten;
  • Stärkung des Kreislaufgedankens auf dem Betrieb und damit verbunden die bessere Nutzung von Nährstoffen und Futtermitteln sowie die Reduktion von Nährstoffüberschüssen;
  • Klimaschonende Produktionssysteme;
  • Nutztierhaltung, die sich an hohem Tierwohl, Tiergesundheit und artgerechter Fütterung orientiert und Züchtungsstrategien und Leistungserwartung entsprechend anpasst und eine schonende und sichere Schlachtung erlaubt;
  • Nutztiere, ihre Herkunft, Anatomie/Physiologie/Ethologie sowie, Ansprüche an die Umwelt und präventive Massnahmen für eine hohe Tiergesundheit.

Erwartung an die Grundbildung im 3. und 4. Lehrjahr

Die Agrarallianz unterstützt das Vorhaben, dass die Grundbildung im 3. und 4. Jahr in Form von Vertiefungen weitergeführt wird. Wir unterstützen, dass angehende Berufsleute für die komplexen Anforderungen im Alltag fit gemacht werden und fordern, dass der integrierte Pflanzenschutz in der Fachrichtung Ackerbau berücksichtigt wird.

Ziel muss sein, alle Landwirt*innen auf ihrem Bildungsweg mit dem nötigen Rüstzeug für die Zukunft auszustatten. Die landwirtschaftlichen Berufsorganisationen spielen bei der Definition der dafür wesentlichen Kompetenzen eine zentrale Rolle.

Ziel muss sein, dass die Nachhaltigkeit der Land- und Ernährungswirtschaft gestärkt wird. Dazu können und sollen unterschiedliche Konzepte zur Anwendung gelangen [15], die mit unterschiedlichen Ambitionsniveaus und zeitlichen Prioritäten arbeiten. Die Ausbildung soll jungen Berufsleuten das Rüstzeug mitgeben, später Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen und den für sie besten Weg zu finden.

Spezialfall Biologischer Landbau

Die Agrarallianz hat die Frage, ob im dritten und vierten Lehrjahr dem Bio-Landbau eine eigene Bio-Fachrichtung zugestanden werden soll, intensiv diskutiert – und beantwortet sie im Grundsatz mit Ja [16].

Wir sind der Meinung, dass die konsequente Berücksichtigung der Grundsätze der biologischen Landwirtschaft während der gesamten Ausbildungszeit die konsequente Weiterentwicklung der Ausbildung im Sinn des skizzierten Idealzustandes darstellt; schliesslich soll die Grundbildung das Fundament schaffen, damit Betriebe standortgerecht mit geschlossenen Betriebskreisläufen arbeiten können.

Der Bio-Landbau erfordert im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft unterschiedliche Denk- und Herangehensweisen. Die Breite und der Einbezug von Umwelt, Nutzung von natürlichen Mechanismen für Pflanzenschutz und Düngung, hohes Tierwohl, artgemässe Fütterungs- und Zuchtstrategien, standortangepasste Produktion sind Prädikate des Biolandbaus. Es bedingt einen sehr offenen Blick auf die Welt. Dies muss sich nicht nur in den Lerninhalten widerspiegeln. Die landwirtschaftlichen Schulen, die Lehrpersonen und die Unterrichtsmaterialien müssen dies mittragen und weitervermitteln. Ein diesbezüglich breites Commitment ist notwendig, aus Sicht der Agrarallianz heute jedoch noch nicht vorhanden.

Zudem steht die vollständige Integration des Biolandbaus  im Widerspruch zum Grundsatz, dass jede Fachorganisation die Inhalte der Fachrichtung gestalten soll. Dies insbesonder auch da  das biologische Produktionssystem gesetzlich in Form der Bio-Verordnung [17] einen eigenen rechtlichen Rahmen kennt und weil die OdA nicht ohne das Einverständnis der federführenden Berufsorganisation über die Inhalte und Ausgestaltung des Berufsbildes bestimmen darf.


[12] Unter diesem Link ist die Übersicht der OdA Agri Ali Form einsehbar.
[13] Beachte auch der Link auf den Zeitplan der Oda Agri Aliform-Workshops.
[14]Biologische Landwirtschaft wird als anspruchsvoller erachtet, weil eine ganzheitliche und mittel- bis langfristige Perspektive im Zentrum steht und die Mittel zur Korrektur von betrieblichen Fehlern beschränkt sind.
[15]Eine resiliente Landwirtschaft ist krisenfester – nicht nur in Bezug auf die Strukturen, sondern auch in Bezug auf die Produktionssysteme.
[16]Gemäss erster Diskussion im Agrarallianz-Ausschuss vom 1. März 2022
[17]Siehe SR 910.18