Agrarallianz Schweiz

Nachhaltiger Konsum

Zusammenfassung

Land- und Ernährungswirtschaft sind für 30% der gesamten Schweizer Umweltauswirkungen verantwortlich. Ein Grossteil davon wird durch den Konsum und die Produktion von tierischen Produkten verursacht. Obwohl es an finanziellen Mitteln nicht mangelt, fehlen die Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen Konsum und eine agrarökologische Wende ist nicht in Sicht. Die landwirtschaftliche Produktion muss umweltschonender gestaltet und bestehende agrarökologische Systeme sollten gefördert werden. Auf der Konsumseite müssen diese Systeme verstanden, akzeptiert und gefördert werden. Transparente Preise und Wertschöpfungsketten sind unverzichtbar, damit das Geld der Konsument*innen zu Produzent*innen weitergegeben wird. Eine nachhaltige Ernährungsumgebung kann nur gestaltet werden, wenn sie zur politischen Priorität wird. Gemeinsames Handeln soll im Vordergrund stehen, statt die Verantwortung auf das Individuum abzuwälzen. Ziel der Agrarallianz ist eine nachhaltige und gesunde Ernährung, in der tierfreundliche und fair gehandelte Produkte die Norm sind. Würde die Ernährung, und somit Konsum und Produktion, auf die Lebensmittelpyramide abgestimmt, käme dies der Umwelt sowie der Gesundheit der Bevölkerung zugute.

Unsere Vision für einen nachhaltigen Konsum

Das neue Normal sind nachhaltig und tierfreundlich produzierte, gehandelte und konsumierte Produkte.

Alle Konsument*innen haben Zugang zu ausreichenden Mengen von gesunden, sicheren, erschwinglichen, nachhaltig erzeugten und tierwohlverträglichen Nahrungsmitteln und zu sauberem Trinkwasser.

Grundlage dafür sind eine ganzheitliche Ernährungspolitik und ein Markt, welche eine ökologische, transparente, tiergerechte und faire Ernährungswirtschaft gewährleisten.

Ausgangslage

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDG’s) sehen in verschiedenen Zieldimensionen eine sichere und nachhaltige Versorgung mit Lebensmitteln vor[1]. Diese Ziele können erreicht werden, wenn alle Akteure der Land- und Lebensmittelwirtschaft zusammen mit den Konsumenten*innen einen Beitrag leisten. Die gemeinsame Entwicklung einer ökologischeren, faireren, nachhaltigeren und tierfreundlicheren Schweizer Landwirtschaft hat dabei Priorität. Dies fordern auch die Konsument*innen als Bürger*innen. Das zeigen die verschiedenen Landwirtschaftsinitiativen, die in den letzten Jahren lanciert und zur Abstimmung gebracht wurden, bzw. noch werden.

Die Positionspapiere der Agrarallianz – unter anderem zum Tierwohl oder zu den Pestiziden – zeigen, wo der Schuh drückt und wie Verbesserungen erreicht werden können.

Die fehlende Kostenwahrheit steht einem nachhaltigen Konsum im Weg. Deshalb muss sie in den zentralen Bereichen Tierwohl, Klima und Biodiversität hergestellt werden.

Der Landwirtschaftspolitik fehlen Wille und Auftrag, mit den jährlichen Zahlungen von rund 3,7 Milliarden Franken die agrarökologische Wende einzuschlagen. Politische Veränderungen im Umwelt- und Klimaschutz sind nötig. Eine tiergerechte Produktion sowie eine Reduktion von Pestiziden, Stickstoff und Antibiotika müssen angestrebt werden. Eine weitere grosse Herausforderung ist die Nachfrage der Konsument*innen nach ökologischen, fairen, nachhaltigen und tierfreundlichen Produkten.

Das vorliegende Positionspapier der Agrarallianz zeigt auf, wieso die Konsument*innen unter den jetzigen Rahmenbedingungen mit ihrem Verhalten nicht mehr Gegensteuer geben (können), wo die politischen Hebel zu finden sind und welche Massnahmen einen nachhaltigen Konsum unterstützen.


[1] Siehe Website der UNO zu den nachhaltigen Entwicklungszielen.

Abbildung 2: Ökobilanz von Lebensmitteln nach Produktgruppen, berechnet für die Schweiz anhand der Umweltbelastungspunkte UBP. (Quelle: ESU-services 2019)

Warum nachhaltiger Konsum wichtig ist

Die Land- und Ernährungswirtschaft ist für 30 % der gesamten Schweizer Umweltauswirkungen verantwortlich [2],[3]. Der Pflanzenbau belastet die Umwelt vor allem durch den Einsatz von Pestiziden sowie durch die Belastung von Boden und Wasser. Tierische Produkte verursachen über 40 % dieser Umweltbelastung (Abbildung 2). Produktion und Konsum von tierischen Produkten verursachen anteilsmässig die grössten Umwelteffekte. Erhebliche Flächen werden für Futtermittel genutzt, welche auch für die menschliche Ernährung dienen könnten, häufig im Ausland und teilweise auf gerodeten Primärwald-Flächen. Die intensive landwirtschaftliche Produktion sorgt für Nährstoffüberschüsse und verursacht eine grossflächige Überdüngung sensibler Flächen[4].

Die landwirtschaftliche Produktion muss umweltschonender gestaltet und bestehende agrarökologische Systeme wie die IP-, Demeter- oder Bio-Produktion sowie Fairtrade gefördert werden. Diese Systeme zeigen, dass eine umweltschonendere Produktion möglich ist. Auf der Konsumseite müssen diese Systeme verstanden, akzeptiert und gefördert werden.


[2] Nationales Forschungsprogramm NFP 69, Gesunde Ernährung und nachhaltige Lebensmittelproduktion: Szenarien und Modelle für eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft Dr. Birgit Kopainsky, Flury & Giuliani GmbH, Zürich
http://www.pnr69.ch/SiteCollectionDocuments/NFP69_Summary_Nachhaltige_Ernaehrungswirtschaft_DE.pdf
[3] BAFU, Link https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wirtschaft-konsum/fachinformationen/nachhaltiger-konsum/konsumentscheide-und-umwelt.html
[4] Medienmitteilung der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene vom 20.11.2020: Stickstoffbelastung von natürlichen Lebensräumen weiterhin zu hoch. https://www.ekl.admin.ch/de/dokumentation/medienmitteilungen/stickstoffbelastung-von-natuerlichen-lebensraeumen-weiterhin-zu-hoch/

Vielfältige Wechselwirkungen zwischen Konsum und Produktion

In der Schweiz ist seitens Konsumentinnen und Konsumenten eine Nachfrage nach ökologisch und tiergerecht hergestellten Produkten vorhanden. Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 330 Franken (2018) für Bio-Produkte und über 100 Franken (2018) für Fairtrade-Produkte (inkl. Non-Food Produkte wie Blumen)[5] liegt die Schweiz weltweit an der Spitze.

Bei den tierfreundlich produzierten Produkten liegt der Anteil im Detailhandel zwischen 8% (Poulet), knapp 15% (Milch), etwas über 30% (Rind,Schwein) bis 80% (Eier). Im Ausser-Haus-Konsum ist der Anteil jedoch sehr gering, obwohl rund 50% des Fleischkonsums ausser Haus konsumiert wird[6].

Eine britische Studie[7] kommt zum Schluss, dass die globale Produktion von Zucker, Ölen und Fetten sowie Getreide über den Empfehlungen des Harvard University Healthy Eating Plate Models liegen. Gleichzeitig werden zu wenig Proteine und zu wenig Früchte und Gemüse produziert (Abbildung 3).

Abbildung 3: Globale Produktion von Lebensmittel (r) sowie empfohlene Zusammensetzung für eine gesunde Ernährung (l). Quelle: Global Panel on Agriculture and Food Systems for Nutrition

Die Erkenntnisse decken sich mit den Grössenordnungen entsprechender Schweizer Untersuchungen.

Die Hälfte der in der Schweiz konsumierten Lebensmittel stammt aus dem Ausland. Ernährungsphysiologische Defizite können theoretisch über Importe ausgeglichen werden. Und diese Tatsache hat zur Folge, dass sich Veränderungen in der Produktion nicht automatisch auf den Konsum auswirken. Damit der Konsum nachhaltiger und gesünder werden kann, braucht es deshalb ebenfalls eine angemessene Regelung der Importe – in Bezug auf Anbau-, Lager- und Transportbedingungen sowie in Bezug auf die ernährungsphysiologischen Eigenschaften.


[5] Swiss Fair Trade (2019): Umsätze in der Schweiz – Neuer Rekord.  https://www.swissfairtrade.ch/fair-trade/umsaetze-in-der-schweiz/
[6] Agrarbericht 2015: https://2015.agrarbericht.ch/de/markt/marktentwicklungen/ausser-haus-konsum-in-der-schweiz
[7] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0205683

Gesünder ist auch nachhaltiger

Die Forschung hat verschiedene Szenarien durchgerechnet und Handlungsmöglichkeiten diskutiert. Agroscope, INFRAS und HAFL haben bereits 2013 Modellrechnungen zu “ÖkOpt”vorgelegt [8], [9] , einem Szenarium, welches die Einhaltung der Umweltziele beim Stickstoff ermöglicht. Dabei würden im Inland ausser Gras keine Futtermittel mehr kultiviert, und keine ausländischen Futtermittel mehr verwendet. Auch eine Totalumstellung auf Biolandbau wurde durch Agroscope auf dem SWISSLand-Modell simuliert [10]. Bei den genannten Arbeiten liegt der Fokus bei der Produktion; die Auseinandersetzung mit den erforderlichen Änderungen beim Konsum ist sehr oberflächlich. Klare Erkenntnisse gibt es zu den Veränderungen beim Import, zum Fleischkonsum, zur Rolle von Food Waste und zum Selbstversorgungsgrad.

Vom FIBL stammen wichtige Arbeiten zur Ernährung der Welt mit Bio-Produkten [11]. Eine 100-prozentige Umstellung auf Bio benötigt demnach mehr Land, reduziert aber den N-Überschuss und den Pestizideinsatz. In Kombination mit einer Verringerung der Lebensmittelverschwendung und der Futtermittelkonkurrenz von Ackerland, mit entsprechend reduzierter Produktion und Konsum von tierischen Produkten, bleibt die Flächennutzung im Ökolandbau jedoch unter dem Referenzszenario. Auch andere Indikatoren wie die Treibhausgasemissionen verbessern sich. Nachhaltige Ernährungssysteme müssen auch die Themen Abfall, Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Gras und Vieh sowie den menschlichen Konsum berücksichtigen.

Um den ökologischen Fussabdruck im erforderlichen Mass verringern zu können, muss sich die Land- und Ernährungswirtschaft weiterentwickeln. Wichtig ist die Steigerung des Anteils der Label-Produkte (namentlich Bio-Knospe und IP-SUISSE-Marienkäfer). Wichtig sind zudem Verbesserungen in der Verarbeitung (Reduktion des Energie- und Wasserverbrauchs), bei der Verpackung (Portionengrössen, Plastikabfall) und beim Transport. Hinzu kommt die Reduktion von Lebensmittelverlusten und des Fleischkonsums aus nicht-nachhaltiger Produktion.

Der Über- und Fehlkonsum von Lebensmitteln verursacht erhebliche ökologische und gesundheitliche Folgekosten. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung steht deshalb im Zentrum der Empfehlungen für einen nachhaltigeren Konsum. In der Schweiz ist dies die Lebensmittelpyramide der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung [12].

Abbildung 4: Greenpeace kombiniert die Grundlagen der SGE mit den Grundsätzen einer klimaneutralen Landund Ernährungswirtschaft und präsentiert mit der Vision TP eine tiergerechte und ökologische Produktion in der Schweiz (Quelle: Greenpeace 2019)

[8] Reutimann, Heldstab & Leippert, 2013: Stickstoff in der Land- und Ernährungswirtschaft. Stickstoffflüsse, Verluste und Reduktionspotenziale
[9] Sutter, Menzi & Reidy, 2013: Ökologische Optimierung des landwirtschaftlichen Produkteportfolios (ÖkOpt)
[10] Mann, S.; Ferjani, A.; Zimmermann, A.; Mack, G.; Möhring, A.; Reckenholz-Tänikon, F. A. Wie sähe ein Bioland Schweiz aus? Agrarforschung Schweiz 2013, 6.
[11] Muller et al., 2017: Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture
[12] Siehe die Schweizer Lebensmittelpyramide, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.

Die politische Weichenstellung ist möglich

Von der Politik wird die Rolle der Konsument*innen bisher weitgehend ignoriert. Sie werden nicht als gleichberechtigte Marktteilnehmende wahrgenommen und berücksichtigt. Selbst grundlegende Forderungen in Bezug auf Transparenz, Information und Standards werden nicht aufgenommen. Angesichts des Klimawandels, des Verlusts an Biodiversität und der bedrohlichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung wie auf die Landwirtschaft muss die Landwirtschaftspolitik umfassender gedacht und ausgestaltet werden.

Die notwendige Kehrtwende in Richtung einer umwelt-, klima- und ressourcenschonenden sowie tierfreundlichen Landwirtschaft findet entlang der ganzen Wertschöpfungskette nur langsam statt. Die (Agrar-)Politik darf nicht mehr länger nur auf die Produktion und Verarbeitung fokussieren, auch die Konsumentinnen und Konsumenten und ihre Gesundheit müssen miteinbezogen werden [13], [14].

Anlässlich der Sistierung der Agrarpolitik 2022+ durch das Parlament wurde die Thematik erstmals ernsthaft aufgenommen. Das gleichzeitig eingereichte Postulat 20.3931 verlangt unter anderem die Erweiterung der Agrarpolitik in Richtung einer ganzheitlichen Politik für gesunde Ernährung und nachhaltige Lebensmittelproduktion. Das BLW hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Ein Bericht wird für 2022 erwartet.

Zu bemängeln ist die fehlende Einbettung in übergeordnete Politiken: Klima, UNO-Agenda 2030, (Swiss) Green Deal, Ernährungspolitik, Biodiversität, Gesundheit, Forschung und Bildung.


[13] NPF 69: Gesunde Ernährung und nachhaltige Lebensmittelproduktion
[14] BMEL, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, 2020: Politik für eine nachhaltigere Ernährung. Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten

Positionierungsvorteile als wichtige Treiber für nachhaltige Produkte

Der Detailhandel kämpft mit nachhaltigen Produkten erfolgreich im höherpreisigen Segment um Kunden, Labels verkaufen reale Mehrwerte, B2B-Beziehungen ermöglichen nachhaltige Produktionen im In- und Ausland.

Ob der Erlös (Ladenpreis) dabei fair über die Wertschöpfungskette verteilt wird, sodass die höheren Kosten durch nachhaltige Produktion auf jeder Stufe abgedeckt sind, ist allerdings umstritten und hängt von der Marktmacht der Teilnehmenden und der aktuellen Marktsituation ab. Verschiedene Marktanalysen haben in jüngster Vergangenheit gezeigt, dass die höheren Margen von Labelprodukten grösstenteils nicht bei den Produzenten anfallen, sondern in der Wertschöpfungskette intransparent abgeschöpft werden. Die teilweise sehr hohen Konsumentenpreise werden nicht bis zum Produzenten weitergegeben. Zusätzlich zu den Marktmechanismen müssen deshalb Transparenz-, Partizipations- und Fairness-Mechanismen dafür sorgen, dass Konsument*innen angemessene Preise zahlen und die Wertschöpfungskette die Margen angemessen verteilt.

Wissenschaftliche Studien haben bestätigt (Agroscope 2020), dass bei Label- und Bioprodukten die Nachfrage preiselastisch ist. Das heisst: Mit geringen Preisveränderungen könnten grosse Nachfrageveränderungen bewirkt werden.

In dieser Hinsicht vorbildlich sind Direktvermarkter*innen, welche die höheren Kosten nachhaltiger Produkte direkt und transparent an ihre Kunden verrechnen. Auch zu erwähnen sind Projekte der solidarischen Landwirtschaft. Bei diesen werden Risiken wie Ernteausfälle und Überschüsse unter den Konsument*innen solidarisch aufgeteilt. Im Gegenzug können Sie bei der Anbauplanung und der Lebensmittelproduktion mitwirken. Solche partizipativen Modelle gilt es künftig weiter zu stärken.

Von überforderten Konsumenten*innen wird zu viel verlangt

Mit einfachen Verhaltensänderungen können Konsumentinnen und Konsumenten die Umweltbelastung durch Ernährung und Landwirtschaft senken. Zum Beispiel, indem sie wenig Fleisch und tierische Produkte konsumieren und Foodwaste vermeiden.

Marktstudien haben gezeigt, dass Label- und Bioprodukte teilweise überteuert und für viele Konsument*innen preislich unattraktiv positioniert sind. Mit kleineren Zwischenhandelsmargen könnte der Absatz wesentlich gesteigert werden [15].

Angebot und Preise sind intransparent; Werbung, Preis und Angebote beeinflussen die Entscheide, welche von den Konsumentinnen und Konsumenten x-mal pro Einkauf und teilweise in hektischen Situationen gefällt werden müssen. Labels verlieren an Orientierungs- und Identifizierungskraft durch ihre unübersichtliche Anzahl und die zusätzliche Verwässerung durch Marken und Produktelinien.

Wichtige Informationen, wie die Herkunft von Rohstoffen auf verarbeiteten Produkten oder die Nährwertkennzeichnung, sind lückenhaft oder fehlen. Auch die Produktionsmethoden von tierischen Produkten fehlen, insbesondere bei Importprodukten.

Knapp die Hälfte des Lebensmittelkonsums (in Franken) erfolgt ausser Haus. Hier können die Konsument*innen nur beschränkt auf Produktherkunft und Anbaumethoden Einfluss nehmen. Es fehlen Transparenz und Angebote. Insbesondere im Bereich der Systemgastronomie (Kantinen und Mensen) sind Labelprodukte eher die Ausnahme.

Auffällig ist die Diskrepanz zwischen Absicht und tatsächlichem Verhalten der Konsument*innen. Der Abstimmungszettel zeigt oft andere Inhalte als der Einkaufszettel. Finger und Bartkowski [16] stellen für dieses Verhalten zwei Hypothesen auf: Den Konsumentinnen und Konsumenten sei nicht bewusst, welche Konsequenzen die von ihnen gekauften Produkte auf die Umwelt und das Tierwohl haben. Oder sie gingen davon aus, dass ihr Kaufverhalten einen vernachlässigbaren Einfluss auf Umwelt und Tierwohl hat.

Ausserdem beeinflussen weitere Faktoren den Konsum. Zu erwähnen sind die Einstellung, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle, persönliche Normen und Problembewusstsein. Sie beeinflussen die täglich rund 200 ernährungsrelevanten Entscheidungen.


[15] Agroscope gemäss STS-Bericht
[16] Robert Finger, Bartosz Bartkowski: Warum wir anders einkaufen als wir wählen. Zitiert von Webseite, 20.6.2020

Gemeinsame Verantwortung

Eine integrierte Politik für gesunden Konsum und nachhaltige Produktion

Ein Gutachten einer Expertengruppe des deutschen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hat 9 Handlungsachsen für die Gestaltung fairer und nachhaltiger Ernährungsumgebungen vorgeschlagen (Abbildung 5) [17]:


[17] Gutachten des Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim BMEL, Juni 2020.

Abbildung 5: 9 Handlungsachsen für faire und nachhaltige Ernährungsumgebungen (Quelle WBAE, 2020)

Das Food Climate Research Network hat eine Reihe von Politik-Massnahmen evaluiert und gibt folgende Empfehlungen[18].

  • Nachhaltige gesunde Ernährung muss zu einer politischen Priorität werden.
  • Ansätze, die darauf abzielen, den Einzelnen zu freiwilligen Veränderungen zu bewegen, haben nur begrenzte Auswirkungen. Gemeinsames Handeln muss im Vordergrund stehen.
  • Trotz positiven Schritten der Lebensmittelindustrie: Freiwillige Vereinbarungen und Goodwill reichen nicht. Es benötigt gesetzliche Rahmenbedingungen, innerhalb denen freiwillige Initiativen funktionieren und greifen.
  • Regierungen müssen regieren: Die politischen Entscheidungsträger*innen müssen einen starken regulatorischen und fiskalischen Rahmen für nachhaltige Ernährungsumgebungen schaffen.
  • Schulen sind ein vielversprechender Kontext für Interventionen: Schulbasierte Interventionen zeigen vielversprechende und positive Ergebnisse. Umweltbelange müssen in die Planung und Durchführung von Interventionen einbezogen werden.
  • Eine Mischung von Ansätzen – regulatorisch, steuerlich, freiwillig sowie kontext- und informationsorientiert – ist erforderlich.
  • Fortschritte müssen messbar gemacht werden, dazu muss Zeit, Engagement und Geld investiert werden.
  • Handeln erzeugt Evidenz: Tatenlosigkeit der Politik führt zu einem Mangel an empirischer Evidenz. Versuche und Experimente, die sich insbesondere auf einige der politisch anspruchsvolleren fiskalischen und regulatorischen Ansätze stützen, sind unerlässlich.
  • Produktions- und verbrauchsseitige Massnahmen und die Beziehung zwischen ihnen müssen verstanden und gemeinsam betrachtet werden, und Interventionen müssen unter Berücksichtigung dieser Aspekte konzipiert werden.
  • Zusätzliche und mehr Forschung ist notwendig.

[18]Tara Garnett, Sophie Mathewson, Philip Angelides and Fiona Borthwick, 2015, Policies and actions to shift eating patterns. What works? A review of the evidence of the effectiveness of interventions aimed at shifting diets in more sustainable and healthy directions.

Marktakteure: Mehr nachhaltige Produkte im Regal – das neue Normal

Die Akteure der Schweizer Ernährungsindustrie haben einen grossen Einfluss auf die Gesetzgebung. Sie sind gefordert, nachhaltigen Konsum und Ernährung zu ermöglichen und zu unterstützen und die Märkte unter Berücksichtigung der politischen Vorgaben aktiv zu entwickeln.

In ihrem eigenen Angebot, durch die Produkt- und Preisgestaltung und durch konsequente Transparenz können die Marktteilnehmer nachhaltige Ernährungsumgebungen gestalten und damit nachhaltiges Konsum- und Einkaufsverhalten aktiv ermöglichen und fördern.

Übermässige Margen auf nachhaltigen Produkten sind durch geeignete Mechanismen und durch erhöhte Transparenz zu vermeiden. Dies ermöglicht mehr Konsument*innen den Zugang und hilft den Produzent*innen und den Beteiligten in der Wertschöpfungskette.

 

Die (begrenzte) Macht der Konsument*innen ist doch relevant

Konsument*innen haben einen begrenzten Handlungsspielraum. Den zur Verfügung stehenden Handlungs- und Gestaltungsspielraum können und müssen die Konsument*innen in Zukunft jedoch besser nutzen.

Insbesondere in den nachfolgenden Bereichen können Konsument*innen mehr Verantwortung übernehmen und die Ernährungswirtschaft stärker beeinflussen:

  • Ernährungsempfehlungen umsetzen und den Fleischkonsum von über 50 kg pro Kopf und Jahr halbieren.
  • Foodwaste vermeiden
  • Informationsmöglichkeiten zu Ökologie und Nährwerten nutzen und Konsumverhalten entsprechend ausrichten.
  • Nachhaltiges, tierfreundliches und regionales Angebot beim Ausser-Haus-Konsum (Restaurants, Kantinen, Take-aways, Schulen etc.) nutzen bzw. einfordern.
  • Sparpotential von Lebensmitteln gegenüber demjenigen von Telekommunikation, Mobilität, Freizeit, Versicherungen und Wohnen relativieren. (Ausgaben Wohnen und Energie 14,7%, Mobilität 7,7%, Lebensmittel 6,3%, Restaurants und Gaststätten 5,8%, Krankenkassen 6,2%, Unterhaltung/Telekommunikation 5,8% [19])
  • Politischen Gestaltungsraum nutzen: Bei Wahlen, Abstimmungen, Mitwirkung auf politischer Ebene das Verhalten so ausrichten, dass eine nachhaltige Ernährungswirtschaft gefördert wird.
  • Direkte Einflussnahme auf Detailhandel – z.B. als Genossenschafter.

[19] Siehe Bundesamt für Statistik: Haushaltseinkommen und -Ausgaben 2017

Ziele für nachhaltige Produktion und gesunden Konsum

  • Nachhaltig und tierfreundlich produzierte, und fair gehandelte Produkte sind das neue Normal. Das bedeutet:
    • Standards und Labels sind angepasst
    • Politische Rahmenbedingungen gewährleisten und fördern den nachhaltigen, gesunden und tierfreundlichen Konsum
  • Die Konsument*innen wählen gesunde, nachhaltige und tierwohlverträgliche Produkte, weil sowohl Staat als auch Handel sie durch verbesserte Einkaufs- und Ernährungsumgebungen darin aktiv unterstützen, weil es sich für sie finanziell und gesundheitlich lohnt und weil sie gut informiert sind.
    • Der Treibhausgas-Fussabdruck der Endnachfrage nach Nahrungsmitteln pro Person auf Basis der Umweltgesamtrechnung sinkt bis 2030 im Vergleich zu 2020 um einen Viertel[20].
    • Die Gastronomie und der Staat beschaffen nachhaltig. Der Anteil nachhaltiger und tierfreundlich erzeugter Produkte beträgt mindestens 50%. Besonders bedenkliche Produkte werden nicht mehr angeboten.
    • Die Reduktion von Lebensmittelverschwendung hilft auf der Kostenseite. Die vermeidbaren Lebensmittelverluste liegen entlang der ganzen Food Supply Chain unter 10% der Produktionsmenge.
    • Die Empfehlungen der Gesundheitsbehörde werden beim Fleischkonsum umgesetzt (Empfehlung der Lebensmittelpyramide).

[20] Siehe Strategie für Nachhaltige Entwicklung 2030

Forderungen der Agrarallianz

Strukturelle Massnahmen

Damit die Entwicklung zu nachhaltigem und tierwohlorientiertem Konsum rascher vonstattengehen kann, brauchen sowohl der Staat als auch der Handel klar definierte Handlungsspielräume. Um diesen Rahmen zu schaffen, sind strukturelle Veränderungen unabdingbar.

Das bedeutet:

  • «Swiss Green Deal» inklusive integrierte Landwirtschafts- und Ernährungspolitik (à la «Vom Hof auf den Tisch»-Strategie der EU). Soziale Abfederung: Keine Person noch Region wird zurückgelassen.
  • Stärkung der Rechte aller Bevölkerungsteile auf gesunde, sichere, nachhaltig und tierfreundlich produzierte Nahrung (Menschenrecht auf Nahrung: Verfügbarkeit, Zugang, Nutzung und Stabilität.)
  • Governance: Der Bundesrat und die Verwaltung sowie die Branchen schaffen die zur Umsetzung von nachhaltigem und gesundem Konsum und des Konsumentenschutzes notwendigen Strukturen.
  • Bessere rechtliche Verankerung des nachhaltigen Konsums und des Konsumentenschutzes.
  • Stärkung der Konsument*innen in der Wahrung ihrer Rechte.
  • Stärkung regionaler Kreisläufe, auch grenzüberschreitend.
  • Stärkung des grenzüberschreitenden nachhaltigen Handels. Offene und faire Handelsbeziehungen, speziell im Verhältnis zu europäischen Ländern. Die Einführung von Mindeststandards und Deklaration in heiklen Bereichen wie der tierischen Produktion soll erleichtert und handelsrechtlich ermöglicht werden.
  • Förderung der Ressourceneffizienz und Verkleinerung der Lebensmittelverschwendung.
  • Forschungsschwerpunkt beim Thema nachhaltiger Konsum. Teilnahme der Forschung an entsprechenden Programmen bei Horizont Europa (gefährdet wegen fehlendem Rahmenabkommen mit der EU)
  • Gemeinsame Plattformen mit der EU zur Entwicklung des nachhaltigen und tierwohlverträglichen Konsums.
  • Aktionspläne Bio analog zur EU (Verknüpfen Produktion, Wertschöpfungskette und Konsum)
  • Aktionsplan für nachhaltige und tiergerechte Ernährung.

Unterstützende Massnahmen

Die Konsument*innen sind heute vielfach mit Einkaufswelten und Ernährungsumgebungen konfrontiert, die nachhaltiges und tierwohlorientiertes Einkaufen und Essen erschweren.

Durch die Gestaltung angemessener Einkaufs- und Ernährungsumgebungen sollen die Konsument*innen beim gesunden, nachhaltigen und tierwohlverträglichen Konsum deutlich besser unterstützt werden.

Das bedeutet:

  • Korrektur von Anreizen: Kostenwahrheit, Abbau von kontraproduktiven Subventionen, Einschränkungen bei der Werbung, MWST-Senkung für nachhaltig und tierfreundlich produzierte Produkte, Lenkungsabgaben.
  • Bildung von strategischen Partnerschaften zur Stärkung des nachhaltigen und tiergerechten Konsums (z.B. Coop, Migros mit Bio Suisse, IP-SUISSE, Mutterkuh Schweiz) und von Public Private Partnerships mit verbindlichen Zielen.

Das Angebot von gesunden, sozial-, umwelt- und tierwohlverträglichen Wahlmöglichkeiten soll breiter und bekannter werden.

  • Ernährungssouveränität, Agrarökologie: Stärkung von regionalen Initiativen wie SoLaWi und urbanen Ernährungsplattformen.
  • Stärkung der Rolle des Staates und der Städte als nachhaltiger Konsument und Vorbild: Nachhaltiges Beschaffungsrecht, nachhaltige Gemeinschaftsgastronomie, Nachhaltigkeit in Schulen, Altersheimen, Kitas und ähnlichen Einrichtungen.

Erleichterter Zugang zu Informationen und erleichterte Erkennung von gesunden, nachhaltigeren und tierfreundlicheren Varianten.

  • Sicherung der Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten durch Transparenz – und zwar sowohl im Detailhandel als auch beim Ausser-Haus-Konsum: Herkunftsdeklarationen, Vergleichbarkeit der Produktionsstandards und Labels, etc.
  • Gezielte Stärkung der Labels, Organisationen, Branchen als Vermittler in der Wertschöpfungskette: Innovations- und Absatzförderung, QuNaV etc.
  • Förderung von öffentlichen Informationskampagnen zu Produktionssystemen, Food Waste und Fleischkonsum bzw. allgemein nachhaltigem und tierwohlverträglichem Konsum.

Preisanreize für die nachhaltigere Wahl.

  • Schärfung der Transparenz über die Margen entlang der Wertschöpfungskette.

Weiterführende Literatur