Agrarallianz Schweiz

Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft reduzieren

Zusammenfassung

Die Stickstoff-Emissionen verursachen in der Schweiz weitreichende Schäden: Alle Hochmoore, 84 Prozent der Flachmoore und 42 Prozent der Trockenwiesen und -weiden werden durch Stickstoffeinträge aus der Luft mitgedüngt. 95 Prozent der Schweizer Wälder sind überdüngt. Daran hat sich in den letzten 20 Jahren kaum etwas verändert, die Überschüsse verharren beim Stickstoff bei knapp 100’000 Tonnen jährlich. 70 Prozent davon werden in der Landwirtschaft ausgestossen. 18 Prozent über den Verkehr, 9 Prozent durch die Industrie, 3 Prozent durch die Haushalte.

Die Stickstoffüberschüsse liegen weit über den natürlichen Belastungsgrenzen der Ökosysteme und müssen gesenkt werden. Dazu sollen folgende Massnahmen ergriffen werden:

  • Verwendung von Hofdünger und Biomasse priorisieren.
  • Förderung der Weidehaltung.
  • Beschränkung der Düngerausbringung.
  • Reduktionsziele (Absenkpfad Nährstoffe), die möglich machen, dass die Landwirtschaft bis 2035 die Umweltziele Landwirtschaft erreichen kann.
  • Förderung nachhaltiger Konsumweisen.

 

Hofdünger - im Bild ist der Anschluss eines Güllefasses zu sehen - sind wichtige Nährstofflieferanten für Pflanzen. Richtig ausgebracht sorgen sie für übbige Ernten und gesunde Böden.

Einleitung

Das vorliegende Positionspapier der Agrarallianz thematisiert die massiven Stickstoffüberschüsse in der Schweiz. Es umschreibt die Ausgangslage, die Rolle der Landwirtschaft und zeigt auf, mit welchen Massnahmen die Agrarallianz sich kurz-, mittel- und langfristig die Senkung der Stickstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft vorstellt.

Auswirkungen der Stickstoffbelastung auf Ökosysteme

Vor 1900 war pflanzenverfügbarer Stickstoff ein knappes Gut. Innerhalb von nur 100 Jahren hat der Mensch den natürlichen Stickstoffkreislauf völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Es gelangen heute aus der landwirtschaftlichen Produktion global wie national gewaltige Mengen an biologisch aktiven Stickstoffverbindungen (Ammoniak, Nitrat, Lachgas) in die Atmosphäre, in das Grundwasser, in die Flüsse und in naturnahe Lebensräume.

Die Belastung der Umwelt mit diesen Stickstoffverbindungen gehört global wie national zu den grössten, ungelösten Umweltproblemen unserer Zeit[1]. Das Thema besitzt eine gleiche Brisanz wie der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität. Die drei Themen sind miteinander eng verknüpft[2]. Zu hohe Stickstoffeinträge führen zu weitreichenden Schäden an der Biodiversität. Die Artenvielfalt in allen empfindlicheren Ökosystemen, insbesondere in Wäldern, Mooren, Trockenwiesen, wird auch weit ausserhalb der Emissionsquellen gravierend reduziert. Das wiederum vermindert die Ernährungsgrundlage von Bestäubern wie Bienen. Lachgas-Emissionen tragen zum Klimawandel bei. In Wäldern führen Ammoniakeinträge zu Bodenversauerung, zu Nitratauswaschungen und auch zu Lachgasemissionen[3]. Nitrat führt zu «dead zones» in den Meeren.

Die Schweizer Landwirtschaft weist sowohl in Bezug auf das geltende Umweltrecht wie auch im europäischen Vergleich viel zu hohe Stickstoff- und insbesondere Ammoniakemissionen auf. Bei Letzteren gehört unser Land zusammen mit Holland und Belgien zu den flächenbezogen grössten Emittenten Europas. Dabei stammen rund 93% aus der Landwirtschaft[4]. Die kritischen Eintragsraten (Critical Loads) für Stickstoff (d.h. die nach dem Stand des Wissens aus ökologischer Sicht maximal tolerierbaren Stickstoff-Einträge in naturnahe Ökosysteme) werden in der Schweiz bei den empfindlichen Ökosystemen grossräumig überschritten[5].

100% aller Hochmoore, 84% der Flachmoore und 42% der Trockenwiesen und –weiden, also auch Lebensräume weit ausserhalb landwirtschaftlich genutzter Gebiete, sind durch übermässige Stickstoffeinträge aus der Luft teilweise massiv beeinträchtigt[6]. 95% der Schweizer Wälder sind mit Stickstoff überdüngt[7]

Quellen der Stickstoff-Belastung der Ökosysteme

Von den gesamten Emissionen von stickstoffhaltigen Luftschadstoffen (Stickoxide und Ammoniak, bezogen auf den Stickstoff-Gehalt) werden 70 % von der Landwirtschaft ausgestossen, 18 % vom Verkehr, 9 % von Industrie und Gewerbe und 3 % von den Haushalten[8]. Vom Stickstoff, den die Nutztiere im Harn und Kot ausscheiden, gelangt nur ein Teil mit dem Hofdünger bis zu den Pflanzenwurzeln. Der Rest entweicht in Form von Ammoniak und Lachgas in die Luft sowie als Nitrat in die Gewässer. Der Anteil der Ammoniakemissionen der Landwirtschaft an den gesamt-schweizerischen Ammoniak-Emissionen beträgt rund 93%. Die Erreichung der gesetzlich geltenden Vorschriften hängt somit massgeblich von der Landwirtschaft ab. Um die Immissionsgrenzwerte (u.a. Feinstaub), die Critical Loads für Stickstoff, die Critical Levels für Ammoniak und somit das Umweltziel Landwirtschaft und damit geltendes Recht einzuhalten, ist eine Reduktion der Ammoniakemissionen um ca. 40% gegenüber dem Stand des Jahres 2005 nötig (Bundesrat 2009).

Ein zentrales Umweltziel der Landwirtschaft ist, die Emissionen des Luftschadstoffs Ammoniak zu halbieren.

Problembeurteilung der Agrarallianz

Das Monitoring der bisherigen Agrarpolitik (vgl. Botschaft zur Agrarpolitik nach 2022) zeigt auf, dass bei den Emissionen von Stickstoff grosse Ziellücken bestehen. Die wichtigsten drei Erkenntnisse der Agrarallianz zum Thema Stickstoffreduktion in der Schweiz sind darum:

  • Um den planetaren Belastungsgrenzen gerecht zu werden ist ein Wandel des Ernährungssystems notwendig. Das bedeutet insbesondere eine Reduktion des Konsums tierischer Eiweisse. Eine ressourcenschonende Ernährung kann die Emissionen von Ammoniak um bis zu 50 Prozent und die Emissionen von Nitrat um 35 Prozent senken [9].
  • Ohne Reduktion der Futtermittelimporte ist das Umweltziel Landwirtschaft UZL (Unterschreiten der Critical Loads in empfindlichen Ökosystemen) nicht erreichbar.
  • Es braucht für die Zielerreichung eine Reduktionsstrategie und einen verbindlichen, terminierten Massnahmenplan. Darin muss ein austarierter Instrumentenmix enthalten sein, um räumliche Verlagerungseffekte zu vermeiden.

Lösungsbeitrag der Politik

Zunächst im Rahmen der AP 22+, vorerst im Rahmen der Pa. IV 19.475 soll das Landwirtschaftsgesetz LwG im Artikel 6a mit einem Absenkpfad für die landwirtschaftlichen Nährstoffverluste ergänzt werden. Die WAK-S schlägt eine Reduktion der Stickstoff- und Phosphorverluste gegenüber dem Referenzjahr 2014/2016 (97’344t N) um mindestens 10 Prozent bis 2025 und um mindestens 20 Prozent bis 2030 vor[10].

Um das Ziel zu erreichen, sollen die Branchenorganisationen mit in die Verantwortung genommen werden. Werden aufgrund der von den Branchenorganisationen ergriffenen Massnahmen die Ziele nicht erreicht, so ergreift der Bund ab dem Jahr 2025 auf dem Verordnungsweg zusätzliche Massnahmen.

  1. Die Agrarallianz begrüsst die diversen Vorschläge des Bundesrates, welche zu einer Senkung der Stickstoffverluste führen sollen. Die Massnahmen gehen jedoch angesichts der gravierenden Problemlage und der Verletzung bestehenden Umweltrechts deutlich zu wenig weit. Die Agrarallianz fordert, dass der Bund mit geeigneten Instrumenten sicherstellt, dass die Schweizer Landwirtschaft die gesetzlichen Anforderungen (UZL) im Bereich Stickstoff bis im Jahr 2035 erfüllt.Um dieses Ziel zu erreichen, fordert die Agrarallianz die Einführung einer verbindlichen nationalen Reduktionsstrategie für Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft. Wo die technischen Massnahmen nicht ausreichend sind, ist der Abbau der zu hohen Tierbestände anzugehen. Diese Massnahme ist zwingend mit Konsumsenkungsmassnahmen zu verbinden. Folgende Grafik zeigt den notwendigen Instrumentenmix:
  1. Als zentrales Instrument zur Erreichung der Ziele erachtet die Agrarallianz die Einführung einer Lenkungsabgabe auf Stickstoff[11]. Diese ist einzubetten in weitere politische Steuerungsmöglichkeiten, insbesondere Massnahmen zur Reduktion der Futtermittelimporte.
  1. Der Konsum tierischer Eiweisse ist mit geeigneten Massnahmen zu senken. Die Agrarallianz fordert von der Politik und vom Handel eine stärkere und gezieltere Förderung der Labelprodukte (IP-Suisse, Bio-Suisse, Weidebeef, Kag-Freiland). Weitere Massnahmen im Konsumbereich: siehe das Agrarallianz-Positionspapier «Tierwohl».
  2. Die landwirtschaftlichen Lehrmittel für Grundbildung und Betriebsleiterschulen sind auf die Förderung des Problembewusstseins zum Thema Sickstoffüberschüsse zu überprüfen und anzupassen.
  3. Die Agrarforschung ist auf die Reduktion der Stickstoffüberschüsse generell auf den Wandel des Ernährungssystems auszurichten. Dazu gehören zum Beispiel Forschungsprojekte zur Permakultur, Agroforstwirtschaft
    oder der regenerativen Landwirtschaft.

Forderungen: Eckwerte einer nationalen Reduktionsstrategie

Die Agrarallianz fordert eine nationale Reduktionsstrategie für die Stickstoff-Emissionen. Grundlage dafür ist der Absenkpfad Stickstoff, den der Bundesrat im Rahmen der Botschaft zur Agrarpolitik 2022+ vorgeschlagen hat.

  1. Diese sind zu ergänzen mit Massnahmen, welche die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen an die Landwirtschaft gemäss Umweltziele Landwirtschaft UZL bis 2035 sicherstellen (s. auch Positionspapier Agrarallianz Absenkpfade).
  2. Feed no Food: Stärkung der pflanzlichen Produktion und jährlich steigende Verlagerungen der DZ von tierischer zu pflanzlicher Produktion bis 2030.
  3. Stand der Technik: Beim betrieblichen Stickstoff-Management sind auf allen Ebenen der Stand der Technik zur Emissionsminderung als Voraussetzung des ÖLN einzusetzen.
  4. Weidehaltung: Stärkung der kraftfutterfreien Weidesysteme und jährlich steigende Verlagerung der DZ von intensiver zu extensiver Tierhaltung bis 2030.
  5. Futterimporte und Mineraldünger: Reduktion der Futterimporte und des Mineraldüngereinsatzes durch jährlich steigende Lenkungsabgaben bis 2030.
  6. Gemäss Positionspapier «Tierwohl» fordern wir eine Reduktion der Gesamtimporte Kraftfutter bis 2025 um 20%. Die Kraftfutterimporte könnten durch den Einsatz von Schlachtabfällen und Lebensmittelreststoffen reduziert werden. Rückvergütung der Einnahmen aus der Lenkungsabgabe an die Landwirtschaft insbesondere für Beratung und sozialverträgliche Absicherung der Massnahmen (siehe 7.)
  7. Sozialverträgliche Umsetzung: Betriebsleitende mit Jahrgang 1967 und älter (Stichtag 01.01.2022) werden in Härtefällen finanziell unterstützt. Die Finanzierung erfolgt durch die Einnahmen der Lenkungsabgaben auf Kraftfutter und Kunstdünger, siehe Punkt 3).

Autoren

Marcel Liner, Pro Natura: marcel.liner@pronatura.ch; 061 317 92 40

Eva Wyss, WWF: eva.wyss@wwf.ch, 044 297 21 71

Andreas Bosshard, Vision Landwirtschaft: abosshard@visionlandwirtschaft.ch 056 641 11 55

Dieses Positionspapier wurde am 8. September 2020 vom Ausschuss der Agrarallianz verabschiedet.

Literaturverzeichnis

[1] SRU-Sondergutachten: Stickstoff – Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem; Deutscher Sachverständigenrat für Umweltfragen

[2] Siehe SRU-Sondergutachten

[3] Bühlmann et al 2015: Induction of indirect N2O and NO emissions by atmospheric nitrogen deposition in (semi-) natural ecosystems in Switzerland, Atmospheric Environment 103, 94-101

[4] Switzerland’s Informative Inventory Report (IIR) 2019 zuhanden der UNECE LRTAP Convention

[5] EKL 2014, Seitler und Thöni 2015)

[6] Umweltziele Landwirtschaft, Statusbericht 2016, Seite 28

[7] BAFU, Dossiers, Waldökosysteme: Zu viel Stickstoff ist ungesund

[8] Umweltziele Landwirtschaft UZL, Statusbericht 2016, Kap. 2.5.2

[9] Umwelt- und ressourcenschonende Ernährung, Zimmermann et al. Agroscope Science Nr. 55/2017

[10] Aufgrund der Diskussion in der WAK-S im August 2020 hat das BLW in einem Zusatzbericht die Zahlen für die Stickstoff- und Phosphorreduktion aufgrund neuer Berechnungen leicht gegen unten angepasst (20.022 Agrarpolitik ab 2022: Bericht zu den Fragen der WAK-S vom 2. Juli 2020)

[11] Grundlagen dazu wurden erarbeitet u.a. in Schläpfer F. 2016: Eine Stickstoff-Lenkungsabgabe für die Schweizer Landwirtschaft? Agrarforschung Schweiz 7 (11–12): 496–503